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RÜCKENWIND VON DER EU

Wie die EU Cycling Declaration das Fahrrad zu einem Schlüsselakteur der zukünftigen Mobilität macht

12.04.2024

Kevin Mayne ist einer der zentralen politischen Fürsprecher für die Fahrradbranche in Brüssel. Der Gründer und Geschäftsführer von Cycling Industries Europe (CIE) wird sich in diesem Jahr in den Ruhestand verabschieden – doch zuvor konnte er noch einen der größten Erfolge seines Arbeitslebens verzeichnen. Wir sprachen mit ihm über die Bedeutung der EU Cycling Declaration und des Mobility Transition Pathway, über Anerkennung und Resilienz und über den Blick gen Osten und Süden.

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Kevin, was ist die EU Cycling Declaration? Was besagt sie und welche Bedeutung hat sie für die Fahrradindustrie?

Sie ist keine Verordnung oder Richtlinie, aber dennoch ein sehr wirksames Instrument, weil sie der EU-Kommission, dem EU-Parlament und den nationalen Regierungen als Referenz dient. Sie erkennt das Radfahren als eine der nachhaltigsten, zugänglichsten und somit inklusivsten sowie kostengünstigsten und gesündesten Formen der Fortbewegung und Freizeitgestaltung an. Und rechnet ihm eine zentrale Bedeutung für die europäische Gesellschaft und Wirtschaft zu. Sie umfasst zudem alle Schlüsselbereiche des Radverkehrsökosystems und das ist für uns extrem bedeutsam.

Bisher hatten wir keine richtige Referenz für den Radverkehr, auf die wir uns beziehen konnten. Jetzt haben wir einen strategischen Kompass für Länder, Regionen und Städte, die damit eine Grundlage für ihre fahrradfreundliche Politik, für Rad-Förderung und Finanzierung haben. Wir konnten unseren Beitrag zu der Erklärung leisten und sind mit den aufgführten 36 „Bekenntnissen zum Radverkehr“ sehr zufrieden.

Wie wird der "Kompass" nun umgesetzt und welche Arbeit steht für CIE an?

Wir haben jetzt eine gute Zusammenfassung von Maßnahmen, die von der EU finanziert werden können und zugleich auch einen Leitfaden für die Politik. In punkto Gesetzgebung und bei politischen Diskussionen können wir darauf zurückgreifen. Wir müssen auch bedenken, dass 2024 das Jahr der Europawahlen ist und es ein neue EU-Parlament und eine neue Kommission geben wird. Aber ab dem 3. April ist die EU Cycling Declaration fix und unumstößlich. Für uns als CIE ist es zentral, in den nächsten fünf Jahren den Fahrplan umzusetzen – und das mit allen Beteiligten in allen Bereichen. Wir können das auch noch größer sehen, denn ...

"... die Welt wird auf das schauen, was wir in Europa tun und wie wir den Radsport in allen Ländern fördern können."

Wie geht Ihr mit den vielfältigen Ausgangslagen und Anforderungen in den EU-Mitgliedstaaten um?

Das Wichtigste ist zu betonen, dass der Markt nach wie vor stetig wächst – in allen europäischen Ländern. Die Menschen fahren Fahrrad, die Menschen kaufen Fahrräder. Für die Branche stellt sich jedoch eine zentrale Frage: Wo sind die Menschen, die noch nicht oder nur wenig Radfahren? Die finden wir primär im Süden und im Osten Europas. Im Hinblick auf ein langfristiges Wachstum müssen wir also nach und nach diese Märkte weiter erschließen, die Infrastruktur ausbauen und das Fahrradfahren in Ländern mit deutlich niedrigerem Durchschnittseinkommen erschwinglich machen.

Die EU Cycling Declaration schlägt auch einen verringerten Mehrwertsteuersatz auf Fahrradprodukte und Dienstleistungen vor. Ist das für die CIE einer der bedeutsamsten Punkte, die es voranzutreiben gilt?

Ja, absolut. Wie auch andere Punkte wie Leasing und Rental.

Welche Erwartungen habt Ihr an die Fahrradindustrie? Wie sollte die Branche jetzt reagieren?

Die CIE-Strategie ruht auf zwei Säulen. Es geht uns erstens darum, eine Gesellschaft zu schaffen, die mehr und mehr Rad fährt und somit der Branche nachhaltiges Wachstum garantiert. Wir haben eine Antwort auf die großen Fragen unserer Zeit und wir müssen uns nun von den aktuell starken Märkten auf weniger wohlhabende Länder ausweiten. Dafür müssen wir an effektiven Geschäftsmodellen arbeiten, sicherstellen, dass Leasing funktioniert, Bike-Sharing funktioniert, all die diversen Modelle des Fahrradbesitzes.

Unsere zweite Säule bezieht sich auf die resiliente Organisation unserer Branche. Radfahren ist grün – aber das müssen wir auch mit standardisierten Branchendaten belegen. Wir müssen widerstandsfähiger werden, unsere Lieferketten managen und für die Verbraucher in punkto Produktherkunft transparenter werden.

Nun gibt es auch noch den Mobility Transition Pathway, der die EU Cycling Declaration unterstreicht…

Ja, und wir sind sehr stolz darauf, dass unsere Branche jetzt auch von der Industriepolitik anerkannt wird. Der Mobility Transition Pathway ist ein Fahrplan der EU für die Transformation der Mobilitätsindustrien – und die wurde von der EU-Kommission bisher auf die Sektoren Automobil, Schifffahrt und Schiene beschränkt. In den ersten Entwürfen sind wir gar nicht berücksichtigt worden. Das muss man sich bewusst machen: Trotz all des Wachstums wurden wir nicht als eine ausreichend bedeutende Industrie wahrgenommen. 

"Der Pathway ist also in erster Linie auch so wesentlich, weil wir erstmals gesehen und anerkannt werden."

Das ist DER Grund, warum wir CIE vor fünf Jahren gegründet haben. Natürlich, um am Wachstum der Industrie zu arbeiten, aber vor allem auch, um unserem Sektor Sichtbarkeit und Aufmerksamkeit zu verschaffen.

Was beinhaltet der Mobility Transition Pathway?

Die EU hat übergreifend Fahrpläne entwickelt, um die europäischen Industrien global wettbewerbsfähig zu halten und sie im Wandel in Bereichen wie Nachhaltigkeit und Digitalisierung zu unterstützen. Für jeden der 14 Industriesektoren hat die EU-Kommission Industrievertreter befragt, welche Herausforderungen und Bedürfnisse sie sehen. Das Ergebnis ist der Transition Pathway – und der Radsport ist Teil des Ökosystems Mobilität, wird aber auch von anderen Bereichen wie Tourismus und Textilien beeinflusst.

Im Vergleich zur Cycling Declaration steht also hier die Industrie mehr im Vordergrund?

Es gibt einen Aktionsplan mit über 100 Punkten, die die Radindustrie europaweit dabei unterstützen könnten, widerstandsfähiger, wettbewerbsfähiger, digitaler und nachhaltiger zu werden, und das ist aus Unternehmenssicht sehr spannend. Es gibt Punkte wie die Untersuchung potenzieller Synergien zwischen den Teilsektoren der Mobilität – etwa die Anwerbung von Fachkräften aus der Automobilindustrie. In der EU gibt es schätzungsweise 400.000 qualifizierte Arbeitskräfte, die durch die Abkehr vom Verbrenner ihren Arbeitsplatz verlieren werden. Und wir könnten einem Teil dieser Fachkräfte alternative Arbeitsplätze bieten. Dies geht dann auch Hand in Hand mit den Punkten, die uns dabei unterstützen könnten, die Produktion in Europa auszuweiten.

Wie viel Potenzial steckt tatsächlich im Reshoring?

Das ist für uns als Industrievertretung natürlich schwer zu kommentieren, es ist schließlich eine Wettbewerbsfrage. Ich persönlich glaube, dass die zunehmende Transparenz in Bezug auf den CO2-Fußabdruck und die schiere Menge an Cashflow, die durch den weltweiten Transport von Produkten gebunden wird, die Industrie dazu zwingen wird, zu überdenken, woher sie ihre Produkte bezieht. Auch die Kunden wollen kürzere Lieferzeiten. Dabei geht es nicht nur um europäische Unternehmen, die neu starten. Auch die Kollegen aus Asien fragen sich, wo sie ihre nächsten Produktionsstätten bauen könnten. So eröffnet beispielsweise Lenovo – eines der größten Elektronikunternehmen der Welt – eine Fabrik für E-Bike-Batterien in der Tschechischen Republik.

Was kann die Fahrradindustrie noch von anderen Branchen lernen?

Die Automobilindustrie ist in vielen Punkten extrem gut – bei der Digitalisierung von Prozessen, beim Aufbau langfristiger Kundenbeziehungen, bei der Erfassung von Verkaufszahlen, bei der Transparenz der Lagerbestände usw. Wir haben noch viel zu tun, wenn wir diese Effektivität erreichen wollen. 

"Wir müssen lernen zusammenzuarbeiten, Daten zu sammeln, zu nutzen und zu strukturieren, Forschungsarbeitsgruppen und institutionelle Infrastruktur aufzubauen usw."

Wir sind 20 Jahre hinterher, aber wir können jetzt auch die EU und die Regierungen um Unterstützung bitten, wie sie andere Sektoren in der Vergangenheit erhalten haben. Der Mobility Transition Pathway ist nur der Anfang eines längerfristigen Prozesses und eines industriepolitischen Dialogs mit den EU-Institutionen und der EU-Kommission. Um im EU-Jargon zu bleiben: Wir haben die Phase der gemeinsamen Erarbeitung abgeschlossen, jetzt geht es in die Phase der gemeinsamen Umsetzung.

Kevin Mayne

Kevin-Mayne-CIE

Kevin Mayne ist Gründer und CEO des Handels- und Industrieverbands Cycling Industries Europe mit Sitz in Brüssel. Zuvor prägte er über Jahre als CEO die Entwicklung der CTC (heute Cycling UK) und war Entwicklungsdirektor beim Europäischen Radfahrerverband (ECF). Nach über 25 Jahren als einer der Schlüsselfiguren in der Industrie wird Kevin im Laufe des Jahres in den Ruhestand treten.